Die heutige Gasthausbrauerei Neckarmüller setzt eine lange Gastronomie-Tradition fort. Die begann schon im 19. Jahrhundert, deshalb ist hier auch ein Stück Stadtgeschichte zu besichtigen. Schankwirtschaft, Not-Mensa, Edelrestaurant, Tanzbar mit zweifelhaftem Ruf – der idyllische Standort direkt am Tor zur Tübinger Altstadt hat schon einiges erlebt. Vor 30 Jahren fing hier ein neues Kapitel an. Eines gab’s hier allerdings nie: eine Mühle.
Das Ganze beginnt 1823. In diesem Jahr erwirbt der Lustnauer Zimmermann Michael Müller das Grundstück samt Haus vor dem Neckartor von der adligen „Jungfer Julie von May“.
1902 wechselt das Anwesen den Besitzer. Nun wird es – sehr zur Freude der Tübinger – um eine Gartenwirtschaft erweitert, was es bislang in der Stadt nicht gab. Auf dem umgebenden Areal entsteht eine Parkanlage. Ihre Bäume beschatten noch heute den Biergarten.
Im Ersten Weltkrieg wird die Neckarmüllerei an die Verbindung Suevia, die „Schwaben“, verkauft. Hier „kneipen“ aber auch andere Tübinger Verbindungen, wobei es meist ziemlich laut und lustig zugeht. Später verpachtet die Suevia das Lokal.
In den 1920er-Jahren wird es zum Café-Konzert-Restaurant mit Frühschoppenkonzerten und Tanzveranstaltungen. Ein voller Erfolg. Vor allem die „italienischen Nächte“ ziehen viel Publikum an. Die Nachbarschaft beschwert sich. Der Gemeinderat schätzt jedoch die Bedeutung der Neckarmüllerei für die Stadt und den Tourismus höher ein als die Nachtruhe der Nachbarschaft.
Während des Zweiten Weltkriegs muss das Lokal öfter schließen, es fehlen Lebensmittel und Personal. 1944 wird es durch Bomben beschädigt, daher wird im Garten eine Behelfsgaststätte eingerichtet. Da die reguläre Mensa von den französischen Besatzern beschlagnahmt wird, werden hier Studierende aus großen Eintopfkesseln versorgt.
Ein paar Jahre und Pächter später ist die Neckarmüllerei wieder ein Vorzeigebetrieb mit bester Küche und Konditorei. So ist es keine Frage, dass Bundespräsident Theodor Heuss 1950 bei einem Tübingen-Besuch mit seiner Entourage hier einkehrt. Die lange festliche Tafel unter den Kastanien im Garten biegt sich unter Köstlichkeiten wie Ochsenzunge in Rotweintunke, Königin-pastete und Erdbeertorte mit Schlagsahne. Heuss bemerkt anerkennend, er habe selten so gut gegessen. Noch im gleichen Jahr kauft die Stadt das sanierungsbedürftige Gebäude. So will sie eine gute Stadtplanung an der Neckarbrücke sicherstellen.
Nach erneutem Pächterwechsel wechselt auch der Charakter der Neckarmüllerei: Als Bar mit Tanzcafé verschlechtert sich der Ruf des Lokals drastisch, es gibt häufige Anzeigen bei der Polizei und Debatten im Gemeinderat. Randale, Schlägereien und Alkoholorgien seien an der Tagesordnung, so heißt es. Die Gaststätte bekommt den Spitznamen „Wildwestpuff“.
Schließlich wird die alte Neckarmüllerei 1971 abgebrochen, trotz der Proteste einer eigens gegründeten Bürgerinitiative.
Es dauert einige Jahre, bis sich der Tübinger Gemeinderat auf eine weitere Nutzung des Areals einigt. 1989 wird ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Unterschiedliche Konzepte werden eingereicht, auch ein Spielcasino und ein Parkhaus sind dabei. Zum Glück erteilt der Gemeinderat Heinrich Fischer vom Brauhaus Mössingen den Zuschlag für seine Idee einer Gasthausbrauerei mit dem Traditionsnamen Neckarmüller. 1991 ist Richtfest, 1992 wird die Eröffnung gefeiert.
Den Sudkessel in das Gasthaus zu integrieren und Bier vor den Augen der Gäste zu brauen, ist vor 30 Jahren noch revolutionär. Vorbilder gibt es kaum und den Regionalbier-Trend von heute kann noch keiner ahnen. Doch die Brauer- und Gastronomenfamilie Fischer hat den richtigen Riecher.
Jährlich werden in der Gasthausbrauerei tausende Gäste aus nah und fern bewirtet. Der besondere Neckarmüller-Spirit sorgt dafür, dass sich alle rundum wohlfühlen. Dazu gehört auch, dass der Familienbetrieb sich immer wieder aktiv auf veränderte Wünsche und Anforderungen einstellt. Kulinarisches Angebot, Eventprogramm und Ambiente werden ständig weiterentwickelt.
Damit ist und bleibt der schöne Uferstandort an der Neckarbrücke ein Ort herzlicher Gastlichkeit.
Aus Tübingen ist er längst nicht mehr wegzudenken.
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